Freitag, 16. Oktober 2009

Wie die Tiere

Auch Folgendes ist Erasmus:

Bild 1 - Am Anfang des Semesters kommt ein Haufen junger Leute aus der ganzen Welt zusammen und sieht sich zum ersten Mal. Die ersten zwei bis drei Wochen vergehen damit, dass sich diese Leute gegeseitig vorjammern, wie sehr sie ihre jeweiligen Freunde/Freundinnen in der Heimat vermissen.

Bild 2 - An einem Abend in der Disko nach etwa der Hälfte der Zeit hier gehen die Hormone an die Decke und es geht zu wie in einem Gedicht von Gottfried Benn: Zwölf bis vierzehn derselben jungen Leute sind plötzlich doch Singles und erkunden mit ihrer Zunge von innen die Bauchgegend der Menschen, denen sie vor kurzem noch vorgejammert haben. Schnapsfahne, rote Augen, zerissene T-Shirts, verlorene Schuhe, Hände überall. Die weltweite "Bildungselite" fällt wie eine Horde ausgehungerter Gefängnisinsassen übereinander her. Muss Liebe schön sein.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Vive l'Europe!





Herrlich ist es hier! Was genau ich damit meine? In erster Linie diese unglaubliche Vielfalt, die es hier gibt, vor allem in Bezug auf die Nationalitäten. Und ein Austausch ist genau wie eine Projektarbeit - der Erfolg steckt in den Pausen.
Ein Beispiel: Am Samstag (der übrigens sehr schön war, der Ausflug nach Vannes und ins Schloss Suscinio hat sich echt gelohnt, ich war auch - zumindest mit den Füßen - im Atlantik) wollten wir uns abends noch auf ein Bier (oder einen Cidre) bei einer Freundin in der Wohnung treffen. Das herrliche dabei war, dass es keine rein deutsche Veranstaltung war, sondern dass nach und nach immer mehr Leute gekommen sind. Ich versuche mich mal an einer Aufzählung der Länder: Deutschland, England, Angola, Brasilien, Kasachstan, China, Spanien, Mexiko, USA, Russland, Italien, Tschechien, Türkei. Mag sein, dass ich den ein oder anderen vergessen habe.
Der Abend war für mich nicht nur deswegen ein voller Erfolg, weil die Wohnung proppenvoll mit gut gelaunten Leuten war - sondern vor allem deswegen, weil alles etwas aus ihrer Kultur eingebracht haben. Besonders angekommen sind bei allen Trinksprüche in 10 Sprachen, Trinkspiele etc. Als einziger Bayer habe ich meine Heimat auch gekonnt vertreten: Ich bin jetzt der Held, weil ich als einziger ein Bier mit einem Feuerzeug aufmachen kann...
Nach sechs Wochen weiß ich schon, was ich ab Dezember vermissen werde: Genau diese Vielfalt. Das wahnsinnig tolle Gefühl, mittendrin zu stehen, in der zusammenwachsenden Welt. Sehr schön finde ich das Bild der Salatschüssel der Kulturen: Jeder trägt was von sich bei, bleibt aber doch er selber. Die Mischung aus Tomaten und Essig schmeckt besser, als eine Tomate zu essen und einen Schluck Essig nachzutrinken.
Jeder sollte zu so einem Abend verpflichtet werden. Nationalismus hätte keine Chance mehr, Europa würde endlich beim Volk ankommen. C'est comme cela que réussit le programme Erasmus!!

Dienstag, 6. Oktober 2009

Le bilan du tiers passé

Ich finde, es ist mal wieder Zeit, etwas über meinen Aufenthalt hier zu reflektieren. Ein Drittel von Erasmus ist nämlich schon um und das nehme ich heute zum Anlass für eine kleine Zwischenbilanz.

1) Die Stadt

Was Rennes selbst angeht, habe ich mich total eingelebt. Die Stadt ist super, weil sie einfach alles hat: Einkaufsmöglichkeiten, Altstadt, einen Haufen Kneipen, ein glitzerndes Nachtleben und unglaublich viele junge Leute (200.000 Einwohner, davon 60.000 Studenten). Dass auf den Straßen unglaublich viel Dreck liegt, ist nichts besonderes, das habe ich in Frankreich bisher noch nie anders erlebt. Nur eins gibt mir zu denken: Es gibt deutlich weniger Hunde als es die vielen vielen braunen Haufen denken lassen. Irgendwer ist hier also ein ziemlicher Saubär.

2) Die Uni

"Institut d'Etudes Politiques", eine DER Elitehochschulen für Politikwissenschaft in Frankreich. Wer als Franzose was auf sich hält, unterzieht sich einer zweijährigen (!!!) Aufnahmeprüfung, um hierher kommen zu dürfen. Soweit der Ruf.
Die Realität sieht - aus den Augen eines Außenstehenden - etwas anders aus. Für das Gebäude gilt die Regel "Außen hui, innen pfui". Aber das ist nicht schlimm. Seltsam sind viel mehr die Lehrmethoden. Jeder Kurs dauert zwei Stunden, immer nach dem gleichen Prinzip: Der Professor sitzt vorne und liest ununterbrochen von seinem Skript ab, ohne Powerpoint oder ähnliches. Die Elite-Studenten sitzen davor und schreiben WORT FÜR WORT mit. Alles, zwei Stunden lang. Wenn man sich vor Augen hält, dass man ja pro Tag mehrere Kurse hat, kann man sich denken, wieviel an Papier da zusammenkommt.
Dafür muss ich aber sagen, dass die Inhalte deutlich besser sind als an der KU. Auch bin ich zu der festen Überzeugung gelangt, dass hier am IEP tatsächlich Experten dozieren. Daran habe ich für Eichstätt immer mehr Zweifel. Außerdem: Man mag über die Mitschreibewut sagen, was man will. Aber ist es wirklich besser, in jedem (Haupt-)Seminar in Eichstätt einmal pro Semester ein Referat zu halten und die restliche Zeit sinnloserweise abzusitzen, ohne wirklich was mitzunehmen?

3) Die Franzosen

Sehr lustig, immer wieder. Wenn es nicht nur so frustrierend wäre. Ich will hierzu gar nicht so viel schreiben. Aber ein Beispiel muss sein: Gestern hat hier ein Vortrag zum Thema "Deutschland nach den Wahlen" stattgefunden, den ein Experte aus Deutschland gehalten hat. War auch gut, nur echt schlimm war sein französischer "Assistent": Erstmal gabs Probleme mit der Technik. Der Mann von der EDV hats dann gerichtet. Die Powerpoint hat aber trotzdem (natürlich) nicht funktioniert (das wäre auch die erste gewesen, die ich hier gesehen hätte). Aber das Beste war, dass der Franzose während des Vortrags wild in der Powerpoint herumgeklickt hat. Folge: Keiner hat mehr dem Vortrag folgen können, weil sich sekundenweise das Hintergrundbild - ohne erkennbaren Zusammenhang - geändert hat.

4) Erasmus und die Integration

Das ist der kritische Punkt. Einerseits ist es natürlich so, dass ich nach sechs Wochen in Rennes total gut in die Gemeinschaft der über 80 ausländischen Studenten integriert bin. Wir machen viele Ausflüge (Saint Malo, Mont St. Michel, Nantes, am Samstag Vannes) und es finden dauernd Parties statt (so wie vergangenen Samstag, als die Südamerikaner für Freibier gesorgt haben). Das ist dann schon immer alles super lustig und ich fühle mich gut und bin begeistert, mich mit so vielen Nationalitäten auf einmal austauschen zu können. Außerdem habe ich einige Franzosen kennengelernt, mit denen ich gerne rede und mit denen auch mal gefeiert wird. Das wirkt sich auch auf die Sprache aus - mein Französisch hat sich in letzter Zeit auf jeden Fall verbessert und ist auch deutlich flüssiger geworden. Allerdings - vor allem morgens beim Aufwachen denke ich mir oft: Was willst du eigentlich hier? Und man weiß natürlich auch, dass es schwierig bis unwahrscheinlich ist, hier tatsächlich Freunde fürs Leben zu finden. In 10 Wochen trennt sich nämlich wieder alles...
Außerdem hat Integration auch immer etwas mit Exklusion zu tun. Und da fällt mir schon manchmal auf, dass ich von daheim nur noch wenig mitbekomme. Und das ist irgendwie schade.